„Denn es gibt immer Licht“
Unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft zur Aktion #lichtfenster auf. An jedem Freitag bei Anbruch der Dämmerung sind wir aufgerufen, ein Licht ins Fenster zu stellen: Als Zeichen des Mitgefühls, in der Trauer um Verstorbene, in der Sorge um diejenigen, die um ihr Leben kämpfen in den Zeiten von Corona. Unser Bundespräsident ruft auf und die Kirchen machen mit und ergänzen die Aktion mit einem im Internet nachzulesenden Gebet. Und ich freue mich und frage mich gleichzeitig: Warum muss da erst ein Bundespräsident kommen, um uns an das zu erinnern, was so nahe liegt?
Darüber nachdenkend, fallen mir gleich zwei Antworten ein. Die erste: Wir in der Kirche sind gerade sehr beschäftigt. Wir entdecken in diesen Tagen die Chancen, die die digitale Welt uns auch als Kirche eröffnet. Und das bindet Kraft. Da rutscht einem das Präsentische schon mal weg. Und Rituale brauchen uns nun einmal ganz.
Die zweite Antwort geht in eine ganz andere Richtung. Herr, neige deine Ohren und erhöre mich, denn ich bin elend und arm, beginnt Psalm 86, – der Psalm, der dem 3. Sonntag nach Epiphanias zugeordnet ist. Und ich frage: Kann es sein, dass wir müde geworden sind zu beten? Die Pandemie geht schon so lange, neue Mutationen tauchen auf, und wann wir uns endlich wieder werden frei bewegen können, steht in den Sternen. Welche Rolle haben da unsere bisherigen Gebete gehabt? Haben sie das Ohr dessen erreicht, an den wir uns wandten? Oder nahm und nimmt nicht alles seinen Lauf, ob wir nun beten oder nicht? Solche Gedanken stellen sich einfach ein und darüber müde zu werden ist meiner Meinung nach keine Schande.
Die Frage ist nur: Wie gehen wir damit um? Was können wir tun? Natürlich können wir ganz aufhören zu beten. Das ist eine Möglichkeit. Vielleicht die Radikalste. Ich möchte zwei andere daneben stellen. Die eine: Üben wir uns in Disziplin. Nun ist Disziplin ein, wenn ich es richtig sehe, im Protestantismus eher selten gebrauchtes Wort. Aber das macht nichts. Disziplin vertraut auf die Wiederholung. Sie fragt wenig nach meiner Tagesform. Sie lässt einfach fortfahren. Sie hofft und weiß es irgendwie auch, dass gerade so die Müdigkeit einer neuen Stärke weicht. Und die zweite Möglichkeit sehe ich in dem, was ich erlebte, als ich vor dem Bildschirm der Amtseinführung von Joe Biden folgte. Da stand auf einmal diese junge Frau am Mikrofon, Amanda Gorman, angekündigt als Poetin. Und sie fing an, ihr Gedicht vorzutragen, auf Englisch. Und obwohl ich nicht jedes einzelne Wort verstand, war mir klar: Aus ihren Worten und dem Klang ihrer Stimme sprechen Hoffnung, der Mut, sich nicht kleinkriegen zu lassen, immer wieder neu aufzustehen auch unter widrigsten Bedingungen. Später las ich die deutsche Übersetzung ihres Vortrags und fand Sätze wie diese:
Lasst der Welt, wenn auch sonst nichts, sagen, dass dies wahr ist:
Dass wir, selbst als wir trauerten, wuchsen;
dass wir, selbst als wir Schmerzen hatten, hofften;
dass wir, selbst als wir ermüdeten, es weiter versucht haben;
dass wir für immer verbunden sein werden, siegreich:
Nicht, weil wir nie wieder eine Niederlage erleben werden,
sondern weil wir nie wieder Spaltung säen werden.
Und das zu hören und zu lesen, hat mir Mut gemacht. Und ich habe gemerkt: Ich brauche gute Texte. Texte und, ja auch, Stimmen, die mich aus dem Loch holen, damit auch in mir das erwacht, das mich selbst wieder glauben lässt an einen neuen Anfang und an ein Leben im Licht. Von daher: Lassen Sie uns Ausschau halten nach Männern und Frauen, die – vielleicht selbst nach Worten ringend- die Worte finden, die uns inspirieren und beflügeln. Und die uns den Mut zurückgeben, den wir brauchen, um zu beten. Noch einmal Amanda Gorman:
Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien.
Denn es gibt immer Licht,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.
Herzlich grüße ich Sie
auch mit dem folgenden Gebet
Pfarrerin Eva Böhme
Ewiger Gott,
ja, meine Seele verlangt nach dir.
Natürlich weiß ich, dass es vielen Menschen auf dieser Erde
schlechter geht als uns hier.
Aber ich, wir, spüren doch auch:
Wir sind müde.
So lange geht das schon mit dem Virus,
und jetzt hat es auch noch mutiert,
und obwohl manche unter uns schon geimpft sind:
Es geht uns einfach zu langsam.
Und die große Freiheit ist einfach nicht in Sicht.
So sind wir jetzt hier
um uns auszusprechen vor dir
und um zu empfangen,
was uns Mut macht für den nächsten Schritt.
Amen.