Gedanken zu: „Alles ist erlaubt! Aber nicht alles dient zum Guten.“

Eine echte Breisgauer Sonnenblume im Sommer 2020. Foto: Goede Mitteilungen

Gedanken zu: „Alles ist erlaubt! Aber nicht alles dient…

Es ist Sommer, und so wie er sich im Augenblick zeigt, – nicht zu heiß, aber sonnig und warm – mag ich ihn. Ja, ich bin eher ein Sommermensch. Früh hell, abends spät dunkel, keine Mütze auf dem Kopf und kein Schal um den Hals und kein Wintermantel am Leib, das schenkt mir ein Gefühl von Freiheit. Und auf dem Markt Gemüse und Obst in Hülle und Fülle. Was für ein Anblick und was für ein Genuss!

Und dann lässt der Sommer mir auch Zeit zum Nachdenken. Immer wieder geht mir ein Wort des Apostels Paulus durch den Kopf: Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. (1. Korinther 10,23)

Wie gerne würde ich das hören und lesen. „Alles ist erlaubt.“ Alles geht wieder! Weg mit den Abstandsbestimmungen! Weg mit dem Mundschutz! Und umarmen ist wieder erlaubt und herzen und tanzen und küssen und aus einem Glas trinken und die Finger ablecken und dicht an dicht in der Schlange stehen. Alles ist wieder erlaubt! Wie sehne ich mich danach, das zu hören und zu lesen. Aber ich weiß, es ist unrealistisch, so zu hoffen. Und selbst wenn es erlaubt wär, würde ich es tun? Mit gutem Gewissen tun?

Paulus, von dem dieses „alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“ stammt, wendet sich damit an seine Gemeinde in Korinth. Da gibt es Unstimmigkeiten. Die einen fühlen sich in ihrem Glauben frei und zeigen das auch. Die anderen zögern noch und fühlen sich von dem Vorpreschen der anderen provoziert. Konkret: Die einen sagen: „Alles auf dem Markt angebotene Fleisch kann gekauft und gegessen werden, auch wenn es von geopferten Tieren stammt.“ Die anderen sagen: „Götzenopferfleisch gehört nicht auf den Tisch und nicht auf den Teller.“ Und darüber entbrennt der Streit. Darf ich alles tun, auch wenn es die anderen stört? Muss ich es vielleicht sogar tun, um zu demonstrieren, wie fortschrittlich ich bin und was wahrer Glaube ist? Und wie weit muss mich überhaupt interessieren, was andere von dem halten, was ich tue oder lasse?

Die Antwort des Paulus damals ist sehr diplomatisch. Alles ist erlaubt – schreibt er und das wird die gefreut haben, die meinen: Wozu Rücksicht nehmen? Fleisch ist Fleisch, auch wenn das Tier möglicherweise nach einem heidnischen Ritual geopfert wurde. Der Zusatz: „aber nicht alles dient zum Guten“ dürfte sie dafür eher verwirrt haben. Denn das ist jetzt schwer zu entscheiden. Was ist das Gute oder wie Paulus auch schreibt: Was baut auf? Muss ich Rücksicht nehmen auf Schwächere, oder müssen die sich bewegen und ihren Standpunkt ändern?

Eine stimmige Antwort zu finden, finde ich schwer. Denn es gibt auch die Diktatur der Schwachen und ein ewiges Einfordern von Rücksichtnahme, wo es hieße, sich zu bewegen. Trotzdem verstehe ich sehr gut: Meine Freiheit ist auch Freiheit für andere. Sie ist nicht der Freibrief, sich auszuleben auf Kosten der anderen. Sie fragt, was der Gemeinschaft dient. Sie fragt, was dem Ganzen nützt. Sie fragt, ob ich das, was ich mir selber zugestehe, tatsächlich auch dort ausleben muss und möchte, wo andere sich durch mein Verhalten gestört fühlen.

Konkret: Selbst wenn mir alles wieder erlaubt wäre, würde ich auch alles wieder in der Öffentlichkeit tun: Umarmen und herzen und aus einem Kelch trinken und die Finger ablecken und dicht an dicht um den Altar stehen und beim Abendmahl jedes einzelne Brot anfassen und dann austeilen?

Ich weiß nur von mir: Ja, vielleicht ist (bald) vieles wieder erlaubt, aber ich muss es deswegen noch lange nicht tun. Um meinetwillen nicht und um anderer willen nicht.
Das nennt man dann freiwilligen Verzicht oder Rücksicht oder ganz einfach Vorsicht.
Und mir gefällt die Vorstellung: Nicht nur ich, sondern auch wir als Gemeinde sind so frei zu sagen. „Alles ist uns erlaubt, aber nicht alles dient unserer Meinung nach dem Guten. Alles ist uns erlaubt, aber nicht alles baut auf.“ Paulus fügt dann übrigens noch hinzu: Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient. Aber das wäre jetzt noch einmal ein weites Feld.

Herzlich grüße ich Sie
und wünsche Ihnen, dass Sie irgendwann sagen können:
Der Sommer war sehr reich.

Pfarrerin
Eva Böhme