Erntedankfest feiern – in schwierigen Zeiten

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Erntedankfest feiern – in schwierigen Zeiten

Liebe Leserin, lieber Leser, 

es ist schon Jahre her, da stand ich am Sarg eines von mir sehr geliebten Menschen. Er gehörte nicht zur Familie. Es war ein Freund. Und während ich da so stand, fing ich an ihm zu danken. Und je länger ich da stand, desto größer wurde der Dank und das Erstaunliche war: Es blieb bei dem Dank.

Erntedank in St. Cyriak

Nichts anderes mischte sich hinein. Kein Groll, kein Neid, kein Ärger, nichts, was noch hätte geklärt werden müssen. Und diese Erfahrung gehört – bei aller dazugehörenden Traurigkeit – zu den besonders wertvollen Erfahrungen meines Lebens. Wie schön ist das, danken zu können. Noch nach Jahren kehre ich immer wieder an diesen Punkt zurück und finde mich heute wieder in den Gefühlen von damals.

Ich schreibe Ihnen das, weil der eine oder die andere das ja vielleicht auch kennt: Eine Dankbarkeit, die das Leben schön macht und einen selbst reich. Wobei man ja nicht erst an einem Sarg stehen muss, um sie zu spüren. Es geht auch schon vorher. 

Dabei denke ich, dass sich Dankbarkeit kultivieren lässt. Ich habe eine Freundin, bei der gehe ich besonders gerne auf die Toilette. Da hängen nämlich an der Wand: Postkarten, Fahrkarten, Theaterkarten, Fotos von Freunden und Fotos von sich selbst –  und jedes einzelne Teil erzählt eine Geschichte, erinnert an glückliche Momente und verbindet mit Familie, Freunden und Bekannten. Ein kunterbuntes Durcheinander und Nebeneinander ist das und ich weiß: Wenn es mir schon Freude macht, das alles anzuschauen, wie muss das erst für die sein, die das alles erlebt und miterlebt haben. Von daher, ja: Dankbarkeit lässt sich kultivieren. 

Erntedank in St. Cyriak

Das Erntedankest ist auch ein Stück Kultur der Dankbarkeit. Inmitten von wirklich nicht einfachen Zeiten erinnert es daran: Heute, heute ist es Zeit, einmal ganz einseitig zu leben, das zurückzustellen, was einen zornig oder traurig macht und zu danken. Ich möchte Ihnen nicht vorschreiben, wofür Sie dankbar sein sollen: Denn so ein Garten kann Lust und Last sein und eine Familie auch, und was den einen Luftsprünge machen lässt, langweilt den anderen. Von daher: Dank ist doch etwas sehr eigenes. Aber, dass wir genug zu essen und zu trinken haben, ein Dach über dem Kopf und ein Bett, in dem wir schlafen können, das tut uns wahrscheinlich allen gut. Und man kann ja meinen, was man will: Aber im Vergleich mit anderen Ländern bewährt sich doch unser Gesundheitssystem in diesen Coronazeiten und dass wir im Frieden leben und aussprechen dürfen, was unsere Meinung ist, ohne die Angst, dafür vergiftet zu werden, das gibt ein Gefühl von Sicherheit und Freiheit. Und wer meint, dass das alles zwar hart erarbeitet ist, aber letzten Endes eben doch keine Selbstverständlichkeit, der möge seine Gedanken nach oben richten und dem danken, den wir Gott nennen als Ursprung aller Gaben. 

Eines möchte ich allerdings nicht ausschließen, besser mit einschließen. Vor der Konfirmation habe ich mit den Konfirmanden darüber gesprochen, dass es ein guter Brauch ist, bei einem Fest auch die zu bedenken, die vielleicht auch gerne feiern würden, es aber einfach nicht können. Die Jugendlichen haben mich fragend, z.T. auch irritiert angeschaut. Kann ich auch verstehen. Da bekommt man endlich einmal Geld geschenkt und schon soll man wieder etwas davon abgeben. Dafür habe ich es doch nicht geschenkt bekommen, oder doch? Kann ich mit dem, was ich geschenkt bekommen habe, nicht machen, was ich will?

Das sind verwirrende Fragen und ich möchte es offen lassen, ob die Konfirmation der richtige Moment ist, eine Spendentüte zu füllen. Aber aufs Ganze gesehen meine ich eben doch: Dankbare Menschen geben oft leichter, müssen weniger festhalten und haben ein Herz für andere. Es ist, als ob ihr Gefühl, satt zu sein, sie weicher macht, so dass Sie ohne Not gerne geben. Besonders denen, die in Not sind. Von daher ist es nicht zufällig, dass die Kollekte am Erntedankfest für die Hungernden in der Welt bestimmt ist. Denn wenn wir beten „Barmherziger Vater, wir haben Schuhe an unseren Füßen. Wir danken dir dafür und gedenken vor dir aller nackten Füße auf den Straßen und im Staub dieser Welt“ dann ersetzt das nicht unser Tun, sondern begleitet es. 

Herzlich grüße ich Sie
nicht nur zum Erntedankfest 

Ihre Pfarrerin 
Eva Böhme